Montags-Gegen-Demo: Sonderstadtratssitzung: außer Spesen nichts gewesen

Veröffentlicht am 18. September 2023 um 23:47

Rede vom 18.09.2023 - Daniel Preißler

 

Liebe Görlitzer:innen,

 

was war da los? Also mal ganz ehrlich... was war da los?

 

Im Rathaus saßen am Montag Menschen mit dem Stadtrat zusammen und mussten sich mit Fragen der AfD Fraktion auseinandersetzen. Es ging um die Sicherheit. Es ging darum, dass die Humanität an ihrer Grenze angekommen sei. Wir könnten nur noch Asylbewerber:innen und Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen. Für alle anderen gäbe es leider zu wenig Wohnraum und die Sicherheitslage der Stadt sei gefährdet.

In Ihrem Antrag hieß es unter anderem scheinheilig: „In "den sozialen Medien" kursieren Gerüchte und Meinungen, die geeignet sind, bestimmte Volksgruppen zu verunglimpfen. Die ablehnende Haltung gegenüber Zuwanderern kann sich dadurch verstärken und den sozialen Frieden massiv stören. Dies kann ebenfalls nicht hingenommen werden." 

Schaut man in den Telegram-Kanal von Herrn Wippel, dann weiss ich auch wer diese ablehnende Haltung ganz offensichtlich massiv schürt. Da kann man Dinge wie: "Unsere Stadt muss sicher und sauber sein!" lesen. Im Hintergrund natürlich ein Screenshot, der mutmaßlich Beteiligte an der Schlägerei im L2 zeigt. Aber auch folgender Text: "Es ist längst überfällig, endlich wieder das Wohl der Görlitzer Bevölkerung an erster Stelle zu platzieren. Unser Land zuerst! Görlitz zuerst!" Es ist und bleibt ekelhaft wie sehr die AfD populistische, radikale und faschistische Meinung salonfähig macht. Wer teilt denn in absurder Häufigkeit die beiden Vorkommnisse der letzten Wochen und Monate? Es werden Videos und Fotos genutzt um Zusammenhänge herzustellen, wo es keine Zusammenhänge gibt, wo Ermittlungen andauern, wo bloße Vermutungen eine Realität vorgaukeln. Es gibt ein Gefühl von Gefahr, ohne das wirklich eine erhöhte Gefahr messbar ist. Fakten werden gedreht, wie man es gerade benötigt. Spricht man auf den Montagsdemos von der "Lügenpresse" und der sächsischen Zeitung als ausgrenzendes Staatsmedium, dem man in keinster Weise mehr vertrauen darf, so nutzt Wippel dann doch jeden Textschnipsel, der seine menschenverachtenden Thesen unterstützt. So am 07.09. wenn er schreibt: 

​​Ein Blick in die Zeitung an diesem Morgen lässt aufhorchen: 

Eine Woche nach Beginn der verschärften Grenzkontrollen in Sachsen haben Beamte sieben tatverdächtige Schleuser festgestellt.“ Weiter: „Insgesamt seien in diesem Zeitraum 307 Menschen an den sächsischen Außengrenzen im Zusammenhang mit Schleusungen registriert worden.“

Und dann wird direkt wieder der verschwörungserzählerische Sprech von einer angeblichen "PR-Kampagne des Innenministeriums" aufgegriffen. 

 

Das was Herr Wippel, Herr Jäschke und die anderen blauen Unruhestifter, aber auch Gruppierungen wie die Freien Sachsen, immer und immer wieder versuchen, ist jede Gewalttat an denen Menschen anderer Herkunft beteiligt sind, als Indiz für die angebliche große Welle von sogenannter Migrantengewalt zu framen und damit Ängste zu schüren. Die statistischen Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache, wie am Dienstag auch noch einmal in der Sächsischen Zeitung nachzulesen war. Die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik sind eindeutig unaufgeregter, als es gern verdreht dargestellt wird. 

 

Am Ende interessiert das Herrn Wippel und seine Anhänger:innen aber nicht. Seriöse Wissenschaft, validierte Zahlen und belegbare Fakten spielen in deren Weltmodell eine untergeordnete oder gar keine Rolle. YouTube, Telegram, Scheinwissenschaften und rechtspopulistische Medien sind Grundlage eines oft nur "gefühlten Meinungsbildes". Es wird Zeit, dass wir sie mit Fakten konfrontieren, dass wir widersprechen. 

 

Als ich mich in den letzten Tagen mit den Forderungen der AfD, aber auch den Transparenten auf der Montagsdemo beschäftigt habe, bekam ich wieder einmal Grundfragen.

 

Unsere deutschen Außengrenzen zu schützen-wie soll das aussehen? Wir erinnern uns an Fantasien a la Frau Petry... "Polizisten müssten illegalen Grenzübertritt verhindern, indem sie notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen."

 

Soso, es wird fantasiert von geschlossenen Grenzen, massiven Grenzkontrollen. Wie soll das aussehen? Ein "antifschistischer Schutzwall 2.0"? Aber dieses Mal um ganz Deutschland herum? Schießbefehl an den Grenzen, eine Marinepolizei an der Küste? Ach ja, und der Wunsch nach Austritt aus der EU und aus der NATO, wie auf der Montagsdemo zu lesen und zu hören, macht eine Lösung der weltweiten Flüchtlingsbewegung ganz besonders authentisch und nachvollziehbar. Doch der so hochgelobte Wirtschaftsstandort Deutschland wird seine Attraktivität so ganz gewiss nicht erhöhen.

 

Übrigens zur Erinnerung:

Insgesamt sind zwischen 1962 und Ende Oktober 1989 über 795.000 DDR -Bürger:innen offiziell oder flüchtend in die Bundesrepublik entkommen, fast 200.000 davon allein 1989 vor Öffnung der Mauer. Wir alle hier wissen, unter was für Umständen und pragmatischen Einschnitten sich die Menschen auf den Weg gemacht haben. 

 

Also, die Idee primär Fluchtursachen im Nachhinein zu bekämpfen ist ein offenbar sehr schwieriges Projekt, sehr viel schwieriger als sich der aktuellen Situation zuzuwenden und pragmatische humanitäre Lösungen zu finden. 

 

Wie soll ein Deutschland übrigens aussehen, dass sich von allem distanzieren möchte, was eine solidarische Verantwortung mit sich bringt? Ein Land, das sagt: wir zuerst-Görlitz zuerst und damit verkennt, dass wir Teil eines Ganzen sind, das spätestens die Globalisierung uns untrennbar mit der gesamten Welt verknüpft hat. Ein Land, das vor 90 Jahren das letzte Mal: „Wir zuerst“ gerufen und die Welt damit in Brand gesetzt hat. Ein Land, dass bis heute Teil des kapitalistischen Systems ist, dass auf der Ausbeutung anderer Menschen im In- vor allem aber im Ausland beruht. Ich ekel mich vor dieser Menschenverachtung, die tagtäglich durch die AfD und andere rechtsradikalen Gruppierungen publiziert wird.

 

Und um noch einmal auf die Montagsdemo zu kommen. Ich habe mich mit den Reden der letzten Veranstaltung am Montag der vergangenen Woche beschäftigt. 

 

Hier ein paar Inhalte:

 

Herr Liske diffamiert erst einmal Joachim Trauboth, indem er ihn einen Graukobold nennt, anschließend wird Familie Kuhn hochgelobt.

 

Ein gewisser Jochen beginnt mit einer lyrischen Leugnung der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Impfung - Titel: „gestochene Logik“.

 

Ein Stefan aus dem Erzgebirge benutzt Begriffe wie: -Zitat-: „Wir müssen für Ordnung sorgen, wir müssen aufräumen“. Er spricht von der -Zitat- „Asylflut“ von „Corona Schandtaten“ oder davon -Zitat- „die politische Verfolgung von Ärzten“ zu beenden.

 

Dr. Paul Brandenburg wird noch radikaler und spricht davon, dass die Republik tot sei, von Parteienkorruption, von Staatsverbrechen, Impfbetrug, Seuchenlüge, von den grün-braunen und der grünen Todes-Sekte, er fordert den Austritt aus der EU und WHO und spricht davon, dass ein -Zitat-: „Wir brauchen jetzt ein Parlament der Bürger, dass endlich dieses Regime aus dem Amt jagt, dass endlich all ihre Handlanger des höheren Dienstes in Behörden und Gerichten auf die Straße setzt.“

Wer noch immer davon überzeugt ist, dass es hier um einen Protest geht, der auf dem Boden der Demokratie steht, der sich für Frieden und gelebte Demokratie einsetzt, hat bei diesen Worten wohl abgeschaltet. Nein, so sieht kein demokratischer Diskurs aus. Das einzige, dass an dieser Veranstaltung demokratisch ist, ist der Genehmigungsbescheid der Versammlungsbehörde, der in unserer funktionierenden Demokratie allen Menschen das Recht gibt seine Meinung frei zu äussern, sich mit Gleichgesinnten zu versammeln und mit Ihnen auf die Straße zu gehen. Von dort aus soll sie Initialzünder sein, um den demokratischen Dialog in den Gemeinden, bei den politischen Vereinen und Bündnissen, in den kommunalen Strukturen und Parteien fortzuführen und die Anliegen der Bürger:innen in die politische Arbeit einzubinden.

 

Wir sollten alle wieder lernen, wie Demokratie in einer Demokratie funktioniert und von uns allen mit Leben gefüllt werden muss.

 

Liebe Görlitzer:innen noch einmal zum Thema der Migrations- und Flüchtlingspolitik,

 

in einer kurzen Rede kann man hierzu nur lückenhafte und populistisch klingende Phrasen dreschen. Ich kann einen Denkanstoß geben, weshalb meiner Meinung nach dieses Thema so viel vielschichtiger als nur -wir hier drinnen und die dort draussen- ist. Der Umgang mit geflüchteten Menschen hat eine Geschichte. Eine Geschichte, die uns auch an das Leid der Menschen erinnern sollte, die nach der Machtergreifung Hitlers aus Deutschland fliehen wollten, fliehen mussten. 

 

Gerald Knaus, einer der führenden Migrationsforscher, hat in einem Interview mit Stefan Schocher 2021 über die vielen Menschen während der letzten großen Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 und der aktuellen Thematik folgendes gesagt: 

 

„2015 war das Resultat offener Grenzen angesichts der humanitären Katastrophe in Syrien. Hätte man damals Grenzen mit Gewalt geschlossen, wäre niemand gekommen, trotz Leid und Perspektivlosigkeit. Das sieht man auch heute, denn es gibt Millionen Menschen in Syrien, die in einer katastrophalen Lage sind, aber nicht fliehen, weil sie nicht können, so wie ja auch in Afghanistan. Das sah man früher, an der Grenze der Schweiz zum Dritten Reich. Auch damals gelang es Juden in Lebensgefahr nicht, in die Schweiz zu ziehen, weil die Schweiz sie wieder ins Dritte Reich abschob. Nicht Leid und Not erklären Fluchtbewegungen, sondern die Politik von Staaten an ihren Grenzen. Daher sollten wir Erstaufnahmeländern Hilfe zuzusagen, wenn sie ihre Grenzen für Flüchtlinge offenhalten. Wenn Flüchtlinge in der Türkei ihre Kinder in die Schule schicken können und medizinische Versorgung haben, hilft man diesen, dem Land und reduziert Anreize für irreguläre Migration. Hauptgrund, diese Grundversorgung für Flüchtlinge weltweit zu garantieren, sollte ein humanitärer sein.

 

Das Konzept, das die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen hat, ist ein erster, richtiger Schritt, auch wenn das zunächst nur auf dem Papier steht. Die Ampel hat sich darauf festgelegt, irreguläre Migration zu reduzieren, und sie weiß, dass man dazu die Kooperation von Herkunftsländern und Transitstaaten braucht. Diesen will sie etwas anbieten, das es ihnen attraktiv macht, zu kooperieren. 

 

Seit den 1990er Jahren wird eine striktere Flüchtlingspolitik in Deutschland damit begründet, dass das Asylrecht geschützt werden müsse. Ist das nicht zynisch, Menschen daran zu hindern, ein Recht wahrnehmen zu können, damit dieses Recht erhalten bleibt?

 

An den Außengrenzen der EU haben wir einen Zustand der permanenten und systematischen Rechtlosigkeit. Menschen werden an der kroatisch-bosnischen Grenze verprügelt, ausgeraubt, Kinder zurückgestoßen nach Bosnien. Die griechische Küstenwache packt Leute auf Plastikboote und schickt sie zurück in die Türkei. An der polnischen Grenze zu Belarus werden Kinder, Frauen und Männer zurückgeschickt in den Urwald. An den Außengrenzen findet ein Verlust des Flüchtlingsrechts statt, nicht theoretisch, sondern jeden Tag. Wenn man das Flüchtlingsrecht retten will, auch an den Außengrenzen der EU, dann braucht man eine Strategie. Man muss diese Länder davon überzeugen, dass es besser ist, Menschenrechte und Kontrolle zu verbinden. Da ist der Ansatz der Ampel der einzige, der eine Chance hat: nämlich Migrationsabkommen. Die irreguläre Migration, die so vielen Menschen Angst macht und die Populisten zum Aufstieg verhilft, wird so ersetzt durch eine reguläre Migration und Kooperation. Das ist die einzige Chance, das Asylrecht zu retten.“

 

Soweit ein Auszug der Gedanken vom Gerald Knaus.

 

Man muss nicht diese Gedanken zu 100% teilen. Es zeigt aber, wie komplex dieses Thema ist und warum drei Phrasen zu keinem Lösungsansatz führen. 

 

Meine Gedanken hier, drehen sich nicht darum zu leugnen, dass es nicht wichtig sei, sich kritische Gedanken über die Art und Weise der Unterbringung von Geflüchteten zu machen. Wir brauchen Konzepte, die es uns ermöglichen hier vor Ort diese Hilfesuchenden Menschen, die in Europa angekommen sind, nach geltendem Recht in Empfang zu nehmen, ihren Status zu klären und an humanitären Kriterien gemessen zu helfen. Wir leben in einem Land in dem wir mit Trinkwasser die Toilettenspülung benutzen-erzählt mir nicht, dass es uns schlecht geht! 

 

Es geht am Ende darum der AfD ekelhafte Scheinheiligkeit wegzunehmen. Die Kosten dieser Sondersitzung liegen in einer vierstelligen Höhe und wirft doch die Frage auf, warum das Ganze? Wir können hier keine Migrationspolitik beschließen. Die AfD kann hier nur hetzen und tut dies wieder einmal mit gefühlten Zahlen, mit Meinungen, die nichts mit der Realität zu tun haben, aber all die verunsicherten Menschen noch weiter in Verschwörungserzählungen treiben. Danke für nichts. Der Antrag wurde wie zu erwarten gewesen ist: abgelehnt. 

 

Ich werde nun so langsam zum Abschluss kommen.

 

2019 gingen wir das erste Mal mit Görlitz bleibt BUNT gemeinsam

auf die Straße. Es ging darum für ein buntes Görlitz einzustehen. Es ging darum Menschen zusammenzubringen, die keinen Vertreter einer rechten Partei, die sich verschwörungserzählerischen und rechtsradikalen Fantasien hergibt, als Oberbürgermeister haben zu wollen. 4 Jahre später haben uns verschiedenste Gründe wieder einmal zusammengeführt um festzustellen, dass Hass uns Hetze, das

Pauschalisierungen, Menschenverachtung und der Blick ins ewige Gestern zu nichts führen wird. 

 

Doch wir sollten uns fragen:

 

Was wäre wenn… Was wäre wenn, die AfD in Regierungsverantwortung kommt. Wenn Sie in den Landtagen, im Bundestag Mehrheiten generieren oder demokratische Mehrheiten blockieren kann.

 

Was wäre wenn… sollte uns zum Nachdenken, zum Recherchieren, zum Innehalten bewegen. Folgt uns auf unseren Kanälen - wir werden in den nächsten Wochen diese Frage in den Mittelpunkt unserer social media Arbeit stellen. Der Blick in die Glaskugel wird weniger Menschen gefallen, als es die Umfragen gerade offerieren. 

 

Also auch hier wieder der Appell an euch alle: Sucht das Gespräch, lest euch ein in die Thematik, nehmt Fragen besorgter, verunsicherter Mitmenschen ernst und klärt auf!

 

Bleiben wir also standhaft, erinnern an das was war und unter dem „nie wieder“ eine ewige Mahnung bleiben muss! Danke, dass ihr hier seid und danke für eure Aufmerksamkeit!